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Es werden Posts vom November, 2020 angezeigt.

Macht hoch die Tür

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Psalm 24, 7 Der Winter drängt noch verstärkt in die eigenen vier Wände. Man sieht die Welt durchs Fenster. Ich habe eine Scheibe. Geht es dem Menschen da draussen wie mir hier drinnen? Leben wir in getrennten Welten? 'Wand,' ,Mauern', ,Scheibe' tauchen regelmässig auf, wenn Menschen mit Depressionen ihren Zustand beschreiben. Und damit verbunden der Zweifel, ob die dort auf der anderen Seite überhaupt noch fühlen oder verstehen können, wie es mir hier geht. Ich stosse auf einen Tagebucheintrag von Hermine Wittgenstein über ihren Bruder Ludwig aus dem Jahr 1919. Nach der Rückkehr von der Front entschied sich Ludwig gleich doppelt gegen einen vorgezeichneten Weg: Er schlug sein Millionenerbe aus. Und er schlug seine philosophische Genialität aus, wie gemacht für eine akademische Laufbahn. Stattdessen wollte er Volksschulehrer auf dem Land werden. Heute weiss man, dass Ludwig damals vo

wie zuhause

Mein Platz ist im Haus des HERRN . Dorthin werde ich zurückkehren – mein ganzes Leben lang!   Psalm 23, 6 Fühl dich wie zuhause sagt man. Ist auch mal genug zuhause sag ich. Freu mich wenn ich mich wieder mal wie nicht zuhause fühlen darf. Dann fühlt sich auch zuhause wieder anders zuhause an. Philipp Roth philipp.roth@erk-bs.ch Kirchgemeinde Kleinbasel  

Dichtes Gedränge

Daran will ich denken und mich in meiner Seele erinnern, dass ich einherging in dichtem Gedränge, mit ihnen ging zum Haus Gottes mit lautem Jubel und Dank in feiernder Menge.  Psalm 42, 5 Nun ist das social distancing auch in den Träumen angekommen. Es muss ein Geburstagsfest gewesen sein. Oder eine Silvesterparty. Es war spät und draussen war es kalt. Am Buffet wurde gequatscht und sämtliche Sitzgelegenheiten waren besetzt. Manche sassen auf dem Boden oder standen in der Küche. Wie lange ist es her, seit ich das das letzte Mal erlebte? Ich liebe solche open houses, solche nicht choregraphierten Parties. Kommt einfach. Müsst nichts mitbringen. Oder einfach, was ihr habt. Es hat genug. Hauptsache zusammensein. Eines Blase Sorglosigkeit am Freitagabend. Man kommt und geht. Und so, wie man's macht und wie es ist, ist es gut. Nicht Etikette, Personen sind die Hauptsache. Die Erinnerung an dieses Glück muss irgendwo in meinem Unterbewusstsein erwacht sein. Die Sehnsucht danach. Wenn es

Zahlenspiele

Danach bestimmte der Herr weitere zweiundsiebzig von seinen Jüngern . Er sandte sie vor sich her – jeweils zu zweit – in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Lukas 10, 1 Die Decke senkt sich. Nach 50 werden es ab Montag also auch in Basel für drei Wochen nur noch 15 Personen sein, die sich zu Veranstaltungen treffen können. Ich stelle mir diese 15 in der grossen Halle der Theodorskirche vor. Mehr Abstand nehmen können wir schon jetzt nicht mehr. Was soll also eine weitere Einschränkung bringen? Selbst in der kleineren Dorfkirche in Kleinhüningen, bis jetzt noch ,unter dem Radar', werden wir uns beschränken müssen. Widerstandsgeister regen sich. Sie wirbeln in mir Staub auf und flattern mit dicken Hälsen in mein Mailfach. Jetzt müssen wir uns wehren! Gestern erfüllte ich mir einen langehegten Traum. Ich erwarb mir eine Posaune. Es sei die zweite Posaune, die er seit März verkaufe, sagte mir der Geschäftsinhaber. Die Kultur liegt am Boden. Konzerte, die al

Unteilbar

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 6, 2) Die Realität schlägt zurück, sagt Barack Obama in einem Interview über die Pandemie. Man kann sie belächeln (,Schnupfen'), verdrängen (,Nur solche, die eh schon krank sind..') oder verschwören - die Viertelmillion Tote in den USA sagen was anderes. Nicht nur politische, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme werden einem Stresstest unterworfen. Auch der Mensch und seine Lebensumstände werden es. Wie unter einem Vergrösserungsglas erscheinen die Unterscheide zwischen arm und reich. Man empfindet eine grosse Wohnung, Arbeitsplatzsicherheit oder eine funktionierende Kinderbetreung mehr denn je als Privileg. Und schaut mit Grauen nach Syrien, in die Bronx oder nach Moria. Sind Privilegien in gewissem Masse teilbar (man kann anderen etwas davon zugänglich machen), das Leiden wird nicht. Es ist sehr persönlich und individuell. Isolation kann als Qual oder als Befreiung erlebt werden. Das HomeOffice al

Zeit verbringen

,Die Liebe glaubt alles. Hofft alles. Hält allem stand…’ (1. Korinther 13, 7)   Weiss nicht, wann ich je schon so viel zuhause war. Die Kontakte sind weniger. Das auf sich selber und aufeinander geworfen Sein ist mehr.   Zadie Smith, Schriftstellerin und Mutter im New Yorker Lockdown, beschreibt, wie sie in der Enge um den ,Raum für sich’ kämpft, um endlich das tun zu können, was sie denkt, tun zu ,müssen’. Doch endlich erstritten, fühlt sich dieser Raum mit einem Mal so leer an. In diesem Moment begreift sie, was ihre Kollegin, Ottessa Mosfegh, Ende April in einem Essay so zusammengefasst hat:   ,Leben ohne Liebe ist nur ,Zeit verbringen’.’   ,Wenn sie nicht präsent ist, in irgendeiner Form, irgendwo in unseren Leben,’ schreibt Smith, ,dann bleibt tatsächlich nur noch Zeit, und davon wird es immer zuviel geben. Geschäftigkeit wird ihr Fehlen nicht verstecken können. Selbst wenn du jeden Moment, den Gott gibt, von zuhause arbeitest, dann wird sich doch die ganze Zeit, ohne Lie

Verlieren lernen

Siegen ist schwer. Man muss alle anderen schlagen. Verlieren ist noch schwerer. Man muss sich selber schlagen. Das ist eine der wichtigsten Lektionen, die Kinder beim Spielen lernen. Der noch USA- Präsident möchte uns noch ein letztes Mal zeigen, was er in seiner Kinderstube nicht gelernt hat. In einer Diskussion über Corona hörte ich kürzlich die Aussage, Menschen, die zu Verschwörungen greifen, seien ,überforderte Empiriker'. Sie verliessen sich ganz auf ihre Erfahrungen und Kenntnisse. Was sich damit nicht erfassen liesse, würde deshalb mit dem einfachsten Muster darüber erklärt. Das sei dann der Deep State, die Medien, Bill Gates oder was immer - auf jeden Fall eine Macht, die aus dem dunklen Urgrund ihrer Ängste und Befürchtungen wächst. (,Wem traust Du alles zu?' ,Eben!') Ich staune einmal mehr, dass das Symbol des absoluten Scheiterns - das Kreuz - das Herzstück des christlichen Glaubens ist. Es gibt immer wieder Versuche, es zu einem Triumphzeichen zu erklären. Anfä

Stachelschweine

Ich weiss nicht, wie oft ich in letzter Zeit in verschiedenen Zusammenhängen auf den berühmten Satz von Blaise Pascal gestossen bin.      ,Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.’ (Pensées, 1670)   Der Mensch in der Isolation wird sich rasch selbst zum Problem. Telefon, Netflix und LiveStream mögen das lindern, aber nicht lösen. ,Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei’ weiss die Bibel bereits auf den ersten Seiten (Gen 2, 18). Viele Menschen sind aktuell sehr allein. ,Es ist so langweilig,’ sagte mir eine alte Frau letzte Woche im Altersheim. Wohin mit sich? Erst kürzlich kam mir hingegen ein anderer ,philosophischer’ Kommentar zu unserer aktuellen Situation in den Sinn. 1851 beschrieb Arthur Schopenhauer den Stress, den Isolation und zusammengedrängt Sein für eine Gruppe bedeuten. Nicht sehr schmeichelhaft verglich er die Menschen mit Stachelschweinen.  ,Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an

Wahllos fröhlich

Wir haben keine Wahl. Gewählt wird heute auf der anderen Seite des Atlantiks von anderen. Aber grosse Bedeutung haben wird es für die ganze Welt. Wir haben keine Wahl. Das Coronavirus fragt nicht und bringt unsere Systeme an die Belastungsgrenzen und fordert Opfer, die weithin unabsehbar sind. Der November ist der Monat, der uns die Grenzen aufzeigt. Des Tages – es wird dunkler. Des Lebens – wir gedenken der Verstorbenen (Toten Sonntag, Ewigkeitssonntag).  2020 gilt das noch ganz anders und mehr denn je. Wie kann ich dabei fröhlich bleiben? Ich spiele Posaune. Ich umarme meine Lieben. Ich zünde eine Kerze an. Ich bete. Ich tue, was zu tun ist. Und ich bin froh, dass mein Glaubensschatz Bibel viel lebenstiefer als ein glatter Posaunenton, ein schlichtes Flämmchen oder ein oft naives Stossgebet ist. Ich lese das Büchlein Kohelet (Prediger) in der Bibel. Es wird manchmal als fatalistisch oder agnostisch kritisiert ( Alles ist eitel…). Aber seine trockene Lebenseinsicht trö