Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Galater 6, 2)
Die Realität schlägt zurück, sagt Barack Obama in einem Interview über die Pandemie. Man kann sie belächeln (,Schnupfen'), verdrängen (,Nur solche, die eh schon krank sind..') oder verschwören - die Viertelmillion Tote in den USA sagen was anderes.
Nicht nur politische, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme werden einem Stresstest unterworfen. Auch der Mensch und seine Lebensumstände werden es. Wie unter einem Vergrösserungsglas erscheinen die Unterscheide zwischen arm und reich. Man empfindet eine grosse Wohnung, Arbeitsplatzsicherheit oder eine funktionierende Kinderbetreung mehr denn je als Privileg. Und schaut mit Grauen nach Syrien, in die Bronx oder nach Moria.
Sind Privilegien in gewissem Masse teilbar (man kann anderen etwas davon zugänglich machen), das Leiden wird nicht. Es ist sehr persönlich und individuell.
Isolation kann als Qual oder als Befreiung erlebt werden.
Das HomeOffice als Stress oder als Annehmlichkeit.
Die Nähe zu den Kindern als Segen oder als Überforderung.
Die gesellschaftliche Enschleunigung und Distanzierung kann erleichtert begrüsst werden oder ungeahnte Ängste freisetzen und tiefe Einsamkeit.
Ich lese bei Zadie Smith, wie ein Meme sie während des Lockdowns zum Lachen brachte. Es zeigt Mel Gibson, der von seinem Regiestuhl auf den blutüberströmten Jesus neben sich einredet. (Das Bild muss während den Dreharbeiten zu A Passion of Christ entstanden sein.) Zu Mel Gibson hatte jemand geschrieben: Gerade dabei, meinen Freunden mit Kindern unter sechs zu erklären, was es heisst, single in Isolation zu sein.
Es gibt diesen Wettbewerb des Leidens. Auf eine schlimme Geschichte muss man mit noch einer schlimmeren antworten. ,Und erst jene...'
Der christliche Glaube spricht davon, dass Jesus für die Menschen gelitten habe.
Ist Leiden unteilbar, kann das nicht heissen, dass er anstelle der Menschen gelitten hat. (Diese Ansicht vertrat die mittelalterliche Satisfaktionslehre, die auch in heutiger Theologie noch sehr wirkmächtig ist.) Aber es kann heissen, dass er mit seinem Leiden die anderen Menschen in ihrem Leiden so gut versteht, wie es nur geht.
Der Schmerz sagt: Du bist ganz allein. Die Solidarität des Mitleidenden sagt: Du bist es nicht. Und das ist schon sehr viel.
Den Schmerz kann ich dem anderen nicht abnehmen. Da muss er allein hindurch. Aber ich kann dabei sein und helfen, die Last, die Einsamkeit und Angst, zu tragen.
Das versuchen wir auch am kommenden Ewigkeits- bzw Totensonntag.
Philipp Roth
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