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Es werden Posts vom Dezember, 2020 angezeigt.

Markt der Zeit

    So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.   Epheser 5, 15f Das letzte Kalenderblatt. Ich weiss, es ist nur eine Einteilung. Unsere. Trotzdem tut es diesmal besonders gut, ein neues Jahr zu beginnen. Manches lässt man gerne zurück. Und macht Platz für frische Erwartungen und die Hoffnung auf viele Begegnungen der näheren, ja körperlichen Art. Auf dem letzten Blatt des Kalenders an der Wand hinter meinem Computer steht ein niederländisches Kindergedicht über die Zeit. Ich hab ne’ alte Uhr voll Zeit; voll Zeit, die einmal war. Die Zeit, die habe ich nicht mehr; sie ist auf immer weg. O nein! Sie ist auf immer mein. Denn die habe ich erlebt.  Sjoerd Kuyper Ich stocke. Ja, Zeit lässt man nicht zurück. Man erlebt sie. Und nimmt das Erlebte mit. In der Bibel gibt es die Wendung ,die Zeit auskaufen’ (Epheser 5, 16).  Im griechischen Wort kommt der Marktplatz (agora) vor.  Ich ble

Weihnacht besonders

Aber als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn . Er wurde von einer Frau geboren und war dem Gesetz unterstellt. Auf diese Weise wollte Gott uns als seine Kinder annehmen. Galater 4, 4f Weihnacht findet statt. Mit Kindern. Und mit etwas grösserer Gemeinde. Nur die Lieder fehlen weiterhin. Und Familie, so viel und so nah wie möglich. Ich freue mich auf diese Weihnacht, mehr und anders als in anderen Jahren. Normalerweise ist das Fest voller Widersprüche. Es soll immer das Gleiche sein. Und gleichzeitig besonders. Es soll völlig friedlich sein. Und ist oft voll Stress. Dieses Jahr wird es nicht das Gleiche sein. Die Umstände sorgen dafür. Dafür vielleicht umso besonderer. Anfang Woche Aufnahmetag mit der jungen Schauspieltruppe. Viel Kindertrubel. Und viel Kinderernsthaftigkeit. Alle Jahre wieder ein Weihnachtsspiel. Dass es auch in diesem Jahr stattfinden kann, ist wunderbar. Und dass es mal anders ist, ist auch ganz wunderbar. Ich falle durch die Zeit. Heute. Eig

Bazooka

Da sagte der Engel zu ihr: Hab keine Angst, Maria. Durch Gottes Gnade bist du erwählt. Lukas 1, 30 Ich suche mir das Bild wieder hervor. Wir haben es diesen Herbst in Venedig entdeckt. Wir benutzten die Gelegenheit, die Lagunenstadt ohne Amerikaner, Chinesen und Kreuzfahrtkolosse zu besuchen. Man musste nirgends anstehen. Es ist eine Verkündigung. Der Engel kündigt Maria die Geburt von Jesus an. Normalerweise sitzt Maria fromm da und liest in ihrem Stundenbuch. Ganz vornehme Dame der Renaissance. Und der Engel Gabriel huscht von links ins Bild wie ein Bote aus einem anderen Fürstenhaus, seine Bedeutung ganz der Rolle verdankend. Ganz anders die Begegnung hier: Wie der Wilde Mann in seinem Tanz hängt der Engel Gabriel einen Meter in der Luft, eingefroren in seiner wildesten und freudigsten Pirouette, und offeriert mit seiner Linken die weisse Lilie, während seine rechte mit ausgestrecktem Zeigefinger nach oben piekst. Für Maria ist das deutlich zuviel. Zu lange war es still. Zu lange wa

Kopfstossquerlüften

Alles, was Atem hat, lobe den Herrn . Hallelujah. Psalm 150, 6 ,Mehr Licht!' sollen Mozarts letzte Worte gelautet haben. Heute würden sie wohl lauten: ,Mehr Luft!'  2020 feiern wir das erste Weihnachtsfest im Zeichen des Stosslüftens.   Auf einer Ratgeberseite lese ich, wie das geht: Man sollte immer direkt lüften, nachdem einer der Anwesenden gehustet oder geniest hat. Ein gekipptes Fenster reicht nicht aus. Stattdessen sollte man das Fenster weit öffnen. Dies ist das sogenannte Stosslüften. Im Idealfall sollte zusätzlich quer gelüftet werden, indem man durch das Öffnen mehrerer sich gegenüberliegender Fenster oder Türen einen Durchzug erzeugt. So wird verbrauchte Luft am schnellsten ausgetauscht. ,I can't breathe!' waren George Floyds letzte Worte. Noch stickiger als die Wohnung empfinde ich zurzeit den Kopf. Wie ich zuhause Durchzug mache, ist mir klar. Das Stoss- und Querlüften im Oberstübchen aber ist in diesen nervösen Tagen besonders anspruchsvoll. Wie geht Kopfl

Frageumkehr

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 1. Korinther 6, 12 Immer wieder diese Frage. Auch soeben. Darf man das eigentlich? Sie wirft mich zurück in meine Teenagerzeit. Konservatives Umfeld. Strenge Moral. Darf man solche Kleider tragen? Diese Musik hören? So spät ausgehen? Diese Worte sagen, diese Gedanken denken? Damals half weiter, die Frage umzukehren. Nicht: Was ist erlaubt? Sondern: Was ist geboten? Soll man das eigentlich? Vielleicht ist diese Frageumkehr auch heute bei den ständig wechselnden Regeln entscheidend. Allerdings verlangt das Gebotene stets nach Gründen. Und Gründe verlangen nach Verstehen. Und das Verstehen verlangt gegenwärtig zuweilen viel. Die Frage nach dem Dürfen jedoch weckt vor allem Trotz. Am besten kollektiv. Bei den Klimademos besonders beieindruckend: Die Reife vieler Teenager. Bei den Coronaleugnern besonders beeindruckend: Den Trotz vieler Älterer. Eine Grenze mehr, die in d

Schneeengel

Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott...   Lukas 2, 13 Was tun Engel, wenn sie lautlos die ganze Welt verwandeln? Als ich erwache, ist alles in tiefem Weiss. Es dauert eine Weile, bis die Menschen aus ihren Häusern kriechen und sich mit Fräsen und Schaufeln die Welt zurückerobern. Vorher war sie schöner. Und stiller. Was tun Engel, wenn sie lautvoll die Welt verwandeln? Nun ist Singen also auch draussen verboten. Die Engel sollten Skifahren gehen. Jedenfalls in der Schweiz. Es leuchtet mir ein, dass man jetzt nicht gerade Kurrendesingen, Glühweinschunkeln und Silvesterchlauszäuerlen soll. Aber was haben Tannen und Eichhörnchen gegen meinen Sologesang, wenn sie sogar die Hunde in der Langen Erlen tolerieren? Ich stell mir kurz die Himmlischen Heerscharen mit Mundschutz vor. Und was sie singen würden, haben sie auf Spruchbänder geschrieben. Ich werde rausgehen und einen Engel in den Schnee machen. Vielleicht auch einen zweiten oder ganze

Maskensünder

Denn es ist hier kein Unterschied: Die Menschen sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen -  und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade...   Römer 3, 23 Noch ein Unwort des Jahres. Nach ,Übersterblichkeit', ,Superspreader' und der buchstäblich ,demonstrativen' Vernichtung des einst so schönen Wortes ,Querdenker' nun also noch ,Maskensünder' - sogar ungegendert. Der Nationalrat diskutiert darüber, wie die Maskensünde bestraft werden soll. Und erinnert etwas an ein kirchliches Konzil. Während man in der Kirche das Wort ,Sünder*in' kaum mehr ungestraft sinnvoll gebrauchen kann, muss es in der moralisch aufgeladenen Öffentlichkeit regelmässig herhalten. Ich hab mal gelernt, dass die klassische Theologie die Unterdisziplin Hamartiologie kennt: ,Lehre von der Sünde'. (Klingt deftiger, als es ist 😉) Diese unterscheidet zwischen zwei Grundsünden: a) Begehungs-/Tatsünden und b) Unterlassungssünden. Während man bei a) was