Direkt zum Hauptbereich

Posts

Es werden Posts vom Januar, 2021 angezeigt.

Panther

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?  Psalm 139, 7 Lange her seit der Erstbegegnung mit Rainer Maria Rilke irgendwann in der Schule. Ich sah den Panther hinter Gittern vor mir. Sein Fell, seine Krallen und Zähne. Letzte Woche holte es mich wieder ein. Als Isolationsgedicht. Ich schaue dem Panther in die Augen und aus ihnen schauen die Menschen zurück, die mir in den letzten Tagen ihre Langeweile oder Einsamkeit geklagt haben. Längst genug herumgetigert (herumge panther t, wenn mans genau nimmt). Der ,grosse betäubte Wille’ träumt vom ,Bündelitag’. Manchmal könnte man in die Stäbe beissen. Kyrie eleison. Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

Körperkirche

Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde. 2. Kornther 4, 10 Körperloses Gottesdienstfeiern. Gestern ökumenisch kleinbaslerisch. Die Kirche bis an den aktuellen Coronarand gefüllt. 50 Personen. Das Glück einer ,vollen' Kirche. Der Schmerz einer körperlosen Gemeinschaft: kontaktlos und gesanglos.  Ein Gedicht von Kurt Marti geht mir durch den Sinn. körperkirche die kirche des geistes sind unsere körper (schrieb der epileptiker einst nach korinth) darum dann: umarmungen küsse und heilige mähler erst später: kirchen aus stein (Die Liebe geht zu Fuss. Ausgewählte Gedichte, Zürich 2018) Am kommenden Sonntag würde der vor voer Jahren Verstorbene 100 Jahre alt. (Mit dem Epileptiker meint der Paulus, 1. Korinther 12, 12-31). ,Zärtlichkeit ist eine der Töchter Gottes', schrieb er mal. Sie äussert sich in Begegnung, Diakonie und Gemeinschaft, wortlos, doch liedvoll, mahlreich, kontaktfreundlich. Die Pandemie

Abendrundenprotokoll

  Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn... Psalm 37, 5 Licht in den Nachbarshäusern. Silhouetten am Fenster. Schneehaufen unter der Magnolie. Konfirmandin mit Hündchen. Fledermaus auf Torkelflug. Premiere 2021. Velofahrer von hinten. Spaziergegenverkehr. Paar auf Stein am Wasser, Kerze dazwischen. Workout unter der Brücke. Fünf mit viel Abstand. Laute Musik. 'One Two Three Four'. Fischreiher bewegungslos, Welt im Rücken. Kolleginnen über Handy beim Austausch der neusten Social media Trophäen, lachend. Münster beleuchtet. Raucherglühwürmchen, an- und abschwellend. Frachtkahn rheinabwärts gleitend. Lautlos. Dunkel. Bänklipaare, schweigend umschlungen. Stadtglanz auf dem Wasser liegend. Hubschrauber. Ton- und Blinkspur von Ost nach West. Menschen. Zahlreich. Pandemie im Gesicht und dazwischen. Bäume im Winterlockdown. Bäume heimlich Frühling sammelnd. Tram zieht Lichtstreifen über Brücke. ÖV-Sternschnuppe. Rochetürme. Hell erleuchtet. Theodorsturm. Sanft erleuchtet. Licht

Das Jahr magischen Denkens

Und Jesus fragte die Jünger : »Warum habt ihr solche Angst? Wo ist euer Glaube ?« Markus 4, 40 Am 25. Dezember 2003 wird Quintana Roo Dunne Michael auf die Intensivstation eines New Yorker Krankenhauses eingeliefert. Die Symptome einer Grippe weiten sich rasch zu einer Lungenentzündung und einem septischen Schock aus. Die Eltern bangen um ihr Leben. Am 30. Dezember 2003, kaum vom Besuch im Spital zurück, erleidet der Vater von Quintana einen Herzinfarkt und stirbt.  Zwei Jahre später erscheint 'Das Jahr magischen Denkens' (The Year of Magical Thinking). Darin beschreibt die bereits in den 70-er Jahren durch ihre Essays bekannt gewordene Schrifststellerin Joan Didion die Trauer um ihren Mann und die Sorge um ihre Tochter. Die leere Wohnung nach 40 Jahren gemeinsamen Lebens, die endlosen Gedankenketten und Achterbahnfahrten des Gefühls, sie verdichten sich  immer wieder zur Einbildung, sie hätte ihren Mann retten können und müssen. Indem sie alles so belässt, dass für den Tote

Komm nicht näher

Und Gott sprach: Komm nicht näher! Exodus 3, 5 Beschluss des Bundesrats: Ab nächsten Montag noch mehr Abstand, Homeoffice, Isolation. Man fragt sich, wie lange das noch dauert. Und ob man, wenn man endlich wieder näher darf, einander überhaupt noch erträgt. Abstandsregeln spielen in den Religionen einen wichtige Rolle. In Tempeln und Heiligtümern ist genau geregelt, wer zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Zeremonien dem Heiligen am nächsten kommen kann. Mose trifft beim Weiden seiner Schafe auf den brennenden Dornbusch. Gott spricht ihn aus dem Feuer an: Mose, Mose! Mose sagt: Hier bin ich. Gott sagt: Komm nicht näher. Das Leben ist uns heilig. Wir halten Abstand, um es zu schützen. Mit jeder Welle entschlossener und länger. Soweit so einfach. Komplizierter wird es, wenn wir fragen, was wir meinen, wenn wir ,Leben' sagen. Körperliche Gesundheit? Ausschliesslich? Wieviel körperliche Gesundeheit darf für seelische und soziale Gesundheit riskiert werden? Wieviel für wirtschaftliche?

Schwergläubig

In diesem Leben können wir ja nur an Gott glauben , wir können ihn noch nicht sehen.  2. Korinther 5, 7 Ich bin ein Schwergläubiger. Die Leichtgläubigen glauben leichter an Wunder und Willen, Hoffnung und Heilung, Geist und Gericht. Jungfrauengeburt, Christkind, Santaclaus? Easy, Lord. Konzepte wie das Gute im Menschen und das Böse im Menschen nehmen sie leicht. Auch das Reich des Guten und des Bösen. Patriotismus. Kommunismus. Weltmission. Verschwörungstheorie. Wirklichkeit - faktisch alternativ. Ich bin ein Schwergläubiger. Die Leichtgläubigen glauben zu wissen, was sie wissen. Und sind dann sicher: Das ist zu tun. Die Schwergläubigen glauben zu wissen, dass sie nichts wissen. Und sind dann nie sicher, ob das, was sie tun, wirklich das Beste ist. Ich bin ein Schwergläubiger. Kann manchmal kaum glauben dass ich glaube. Und dich glaube, das ist gut. Für die Leichtgläubigen ging Jesus übers Wasser. Für die Schwergläubigen ging Jesus ans Kreuz. Und auch das ist manchmal schwer zu glaub

Traummaschine

  Da sagte der Vater zu ihm: ›Mein lieber Junge, du bist immer bei mir. Und alles, was mir gehört, gehört auch dir. Aber jetzt müssen wir doch feiern und uns freuen. Lukas 15, 31f Vor Weihnachten. Anstehen mit Abstand. In der Freien Strasse lange Schlangen vor dem Louis Vuitton Shop, dem New Yorker und dem Apple Store. Wofür bin ich bereit, wie lange zu warten? Ich reihe mich in die Reihe vor den Fotoautomaten ein. Es stehen gleich mehrere Geräte nebeinander. Man lädt seine Bilder vom Handy oder einem Speichermedium auf den Bildschirm, wählt aus und startet die Bestellung. Und wartet. Im Minutentakt spuckt die Maschine die Bilder aus. Beschleunigen geht nicht. Ein Clique junger Frauen bringt sich selbst auf Weihnachtskarten. Bilder vom Strand und in Abendkleidung. Ein junger Mann war schon an einem Gerät, als ich kam. Und ist es auch noch, als ich gehe. Er scheint Vater geworden zu sein. Das neugeborene Wunder und seine Mutter in allen Varianten. Maria mit Kind 2.2. Wundern soll s