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Es werden Posts vom Juni, 2020 angezeigt.

Aus der Welt gefallen

Vielmehr sind gerade die Teile des Körpers, die schwächer zu sein scheinen, umso notwendiger. 1. Korinther 12, 22 Es ist einfach verrückt, sagt sie. Plötzlich kann man einfach nicht mehr nach Hause. Wir sind auf dem Weg zum ersten Gottesdienst im Haus. Nach über drei Monaten. In den Augen und unter den Falten kann man den Zorn im Gesicht des Teenagers ahnen achtzig Jahre jünger. Frisch und jung wie der Morgen ist er. Und dann konnte auch kein Besuch mehr kommen, sage ich. Ja, das war das Allerschlimmste, sagt sie. Man war richtig eingesperrt. Wie im Gefängnis. Aber jetzt ist das anders? Ja. Und nächste Woche kann ich heim. Es berührt mich immer, wenn Demenz den doppelten Boden öffnet. Sie spiegelt und kommentiert die Zeit. Kindlich unschuldig reagiert sie auf Ungeheuerlichkeiten, die ich manchmal nicht mal sehe. Und wenns genug ist, springt sie ganz aus der Welt hinaus. Im Gottesdienst spreche ich davon, dass wir alle Teile eines grossen Organismus sind. Paulus nennt ihn ,Christus'

Normalität Ausnahme

Verkauft man nicht fünf Spatzen für zwei Fünfer? Und nicht einer von ihnen ist bei Gott vergessen. Und ihr erst - bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt! Fürchtet euch nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.   ( Lukas 12, 6-7) Vom einen in den anderen ,Ausnahmezustand’.   Von der C-Zeit in die Schulferienzeit. Nach meinem Befinden gefragt, greife ich gern zu diesem Bild. Und erschrecke beim zweiten Nachdenken über die Normalität, die der Begriff ,Ausnahme’ voraussetzt. (Keine Regel ohne Ausnahme. Keine Ausnahme ohne Regel.) Ich denke an die beiden noch jungen Männer, die in den letzten Wochen schlagartig aus dem Leben gerissen wurden. Nicht durch die Pandemie. Alle reden von der Suche nach der ,neuen Normalität’. Ich möchte in sie mitnehmen, dass das Leben selbst die Ausnahme ist . Das absolute, ganz und gar nicht selbstverständliche, erstaunliche und nicht zu erwartende Besondere. Die schwebende Seifenblase. Die strahlende Sternschnuppe. Das unve

Here comes the sun

Denn er lässt seine Sonne aufgehen über bösen und über guten Menschen. Und er lässt es regnen auf gerechte und auf ungerechte Menschen.   Matthäus 5, 45 Rituale der Freude. Und der Trauer. Im Konfirmandenunterricht die Frage, wofür die Feiertage sind. Welche sind wichtig? Welche nicht? In den Alterszentren das Bild auf dem Tischchen im Flur und ein Buch mit Namen. Wie geht man mit sovielen Abschieden um? Ich lese dass sie in einer Intensivstation einer New Yorker Klinik jeweils Beatles über die Lautsprecher abspielen, wenn jemand wieder vom Beatmungsgerät genommen werden kann. ,Here comes the sun / here comes the sun / And I say it's all right / Little darling / it's been a long cold lonely winter...' Ich frage mich wie sie es hier im Unispital machen. Heute kann ich zum ersten Mal wieder Bewohner im Altersheim besuchen. A m Sonntag feiern wir im Gottesdienst ein grosses Wiedersehen. Hier kommen die Tränen. Here comes the sun. Philipp Roth Seit gestern Donnerstag auf Youtu

Vorschuss Vertrauen

Wenn aus dem Frösteln ein ,Tschudere' wird, kommt man der Sache nicht näher. Nach dem langen Lockdown-Fieberschub die Welt im Schüttelfrostmodus. Trauma B (wie Boyd) verdrängt Trauma C (wie Covid-19). Bei uns in den Schlagzeilen: - Was bedeutet der Mohr im Mohrenkopf? - Was ging in der LocherWG in der EKS? - Was macht der Detailhandel an der Grenze mit dem wiedereröffneten Einkaufstourismus? Als ich nach einer Woche ausserhalb der Stadt - aber nicht der Welt ;) - wieder nach Hause komme, erwartet mich in der Post das HEKS-Magazin: , Gerade die sozial Schwächsten brauchen jetzt unsere Hilfe,' steht im Stil der BAG-Plakate auf der Rückseite. ,wie ältere Menschen, Flüchtlinge oder Familien in Existenznot.'   Ich freue mich auf  die Menschen, die mir hier nah und lieb sind, und für die ich was tun kann. In der neuen Medienwelt ist nicht nur die Erregung, sondern auch die Solidarität billig geworden. Doch ein Like oder eine Online-Unterschrift ist noch keine gute Tat. Was aus

Nähe mit Abstand

Public celebrating am Pfingstsonntag in der Thedorskirche / Bild: Rudolf Steiner ...damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.  Psalm 91, 12 Um die Relationen zu sehen muss man über die eigene Nasenspitze hinaus sehen. Ich habe die Kirche vom letzten Sonntag vor Augen. Der Schmerz zusammen getrennt und getrennt zusammen zu sein. Und die Angehörigen die seit 3 Monaten nicht zu ihrer Mutter im Alterszentrum können. Ärgerlich! Und lese am gleichen Tag wie ein Sohn das Verschwinden seines Vaters im überforderten Gesundheitssystem in Queens NYC beschreibt. Aus einem vitalen 60-Jährigen noch nie im Spital wird ein positiv Getesteter der zunächst nur zur Überwachung ins Spital kommt dann immer stärkere Atemnot kriegt bis er intubiert und beatmet werden muss. Der Kontakt beschränkt sich aufs Handy. Vom Spital niemand erreichbar. Schliesslich eine letzte SMS: ,Ich kriege eine Narkose. Ich liebe dich.' Erst Tage später der Anruf des Arztes. ,Ihr Vater ist letzte Nacht gestorben.' ,Ich h

Destabilisierung

Sie begannen, in fremden Sprachen zu reden. Apostelgeschichte 2, 4 Auch eine Möglichkeit, die Kirche wieder zu füllen: Grosse Abstände zwischen alle schieben. Am Pfingstsonntag konnten wir uns endlich wieder begegnen. Es war schön und herzlich, wie gewohnt. Und es war eigenartig und fremd, wie gedacht. Das Mittelschiff bis hinten besetzt. Während Andrea Bieler über die Entgrenzung des Geistes predigte, dachte ich an die Aufruhr in den Städten der USA nach dem Tod des Schwarzen George Floyd durch weisse Polizisten. ,I can't breathe,' waren seine letzten Worte. Kein Atem mehr. Kein Himmelsgeist. Dafür viel Geist des Hasses und der Gewalt. Der Anfang einer Bewegung von Jüd*innen aus aller Welt, die sich erst viel später als Chris-tinnen verstehen lernen, beginnt mit einer atemberaubenden Destabilisierung, Verrückung und Verstörung: Menschen werden ergriffen von der Kraft des Heiligen Geistes, werden in eine Klangwelt der Vielstimmigkeit gestellt und wachsen so über sich hinaus. (A