Direkt zum Hauptbereich

Stachelschweine

Ich weiss nicht, wie oft ich in letzter Zeit in verschiedenen Zusammenhängen auf den berühmten Satz von Blaise Pascal gestossen bin.   

 ,Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.’ (Pensées, 1670) 

Der Mensch in der Isolation wird sich rasch selbst zum Problem. Telefon, Netflix und LiveStream mögen das lindern, aber nicht lösen. ,Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei’ weiss die Bibel bereits auf den ersten Seiten (Gen 2, 18). Viele Menschen sind aktuell sehr allein. ,Es ist so langweilig,’ sagte mir eine alte Frau letzte Woche im Altersheim. Wohin mit sich?

Erst kürzlich kam mir hingegen ein anderer ,philosophischer’ Kommentar zu unserer aktuellen Situation in den Sinn. 1851 beschrieb Arthur Schopenhauer den Stress, den Isolation und zusammengedrängt Sein für eine Gruppe bedeuten. Nicht sehr schmeichelhaft verglich er die Menschen mit Stachelschweinen. 

,Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wenn nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher brachte, wiederholte sich jenes zweite Übel; so dass sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.’

Man lernt viel über sich selber in diesen Monaten. Sich selber gut Mensch zu sein. Einander gut Mensch zu sein. Steckt im Kern der aktuellen allgemeinen Müdigkeit nicht auch, dass man sich selbst müde ist? 

In einer merkwürdigen Streit über böse Geister wirft Jesus den Schriftgelehrten mal den geheimnisvollen Satz entgegen: ,Wenn ein Haus mit sich selbst uneins ist, kann es nicht bestehen.’ (Markus 3, 24).

Vielleicht ist das die Chance, die diese Zeit bietet: Diese Einheit mit sich selbst und den Nächsten zu finden – oder wenigstens zu vertiefen. 

Philipp Roth

philipp.roth@erk-bs.ch
Kirchgemeinde Kleinbasel


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

liedlos glücklich?

Tragt euch gegenseitig Psalmen und Hymnen und geistliche Lieder vor. Singt für den Herrn und preist ihn aus vollem Herzen !  Epheser 5, 19 Ich warte gerne mit einem Blog, bis sich die Gedanken etwas gesetzt und geklärt haben. Diesmal gelingt es nicht. Ab Pfingsten dürfen wir uns wieder in der Kirche zum Gottesdienst versammeln. Noch ist nicht entscheiden, wie das bei uns konkret aussehen wird. Noch ist auch nicht entschieden, ob das, was dann stattfinden kann, sich annähernd so anfühlen wird, wie das, was mal war. ,Der Weg zurück ist schwieriger als der Weg heraus,' ist bereits ein geflügeltes Wort. Und in unserem Fall ist das ,zurück' hauptsächlich örtlich zu verstehen. Von der E-Church geht es wieder in die Reality-Church. Darauf freue ich mich. Auf die analogen Begegnungen, das Grüssen, in die Augen schauen und ins Gesicht sagen. Einander gegenüberstehen und sich spüren. Und auf das direkte Miteinander in unseren schönen, erinnerungsgetränkten Gemeinschaftsräumen, man...

Dichtes Gedränge

Daran will ich denken und mich in meiner Seele erinnern, dass ich einherging in dichtem Gedränge, mit ihnen ging zum Haus Gottes mit lautem Jubel und Dank in feiernder Menge.  Psalm 42, 5 Nun ist das social distancing auch in den Träumen angekommen. Es muss ein Geburstagsfest gewesen sein. Oder eine Silvesterparty. Es war spät und draussen war es kalt. Am Buffet wurde gequatscht und sämtliche Sitzgelegenheiten waren besetzt. Manche sassen auf dem Boden oder standen in der Küche. Wie lange ist es her, seit ich das das letzte Mal erlebte? Ich liebe solche open houses, solche nicht choregraphierten Parties. Kommt einfach. Müsst nichts mitbringen. Oder einfach, was ihr habt. Es hat genug. Hauptsache zusammensein. Eines Blase Sorglosigkeit am Freitagabend. Man kommt und geht. Und so, wie man's macht und wie es ist, ist es gut. Nicht Etikette, Personen sind die Hauptsache. Die Erinnerung an dieses Glück muss irgendwo in meinem Unterbewusstsein erwacht sein. Die Sehnsucht danach. Wenn es ...

Nähe mit Abstand

Public celebrating am Pfingstsonntag in der Thedorskirche / Bild: Rudolf Steiner ...damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.  Psalm 91, 12 Um die Relationen zu sehen muss man über die eigene Nasenspitze hinaus sehen. Ich habe die Kirche vom letzten Sonntag vor Augen. Der Schmerz zusammen getrennt und getrennt zusammen zu sein. Und die Angehörigen die seit 3 Monaten nicht zu ihrer Mutter im Alterszentrum können. Ärgerlich! Und lese am gleichen Tag wie ein Sohn das Verschwinden seines Vaters im überforderten Gesundheitssystem in Queens NYC beschreibt. Aus einem vitalen 60-Jährigen noch nie im Spital wird ein positiv Getesteter der zunächst nur zur Überwachung ins Spital kommt dann immer stärkere Atemnot kriegt bis er intubiert und beatmet werden muss. Der Kontakt beschränkt sich aufs Handy. Vom Spital niemand erreichbar. Schliesslich eine letzte SMS: ,Ich kriege eine Narkose. Ich liebe dich.' Erst Tage später der Anruf des Arztes. ,Ihr Vater ist letzte Nacht gestorben.' ,Ich h...