Alles, was Atem hat, lobe den Herrn. Hallelujah. Psalm 150, 6
9330 Menschen tun das, Stand heute, nicht mehr. Allein in der Schweiz. Allein wegen Covid-19. Am Freitag jährte sich der erste Pandemie-Todesfall in unserem Land. Die Glocken läuteten. Manche hielten inne und sprachen ein Gebet. Ein trauriger Moment in einer nervösen Zeit.
,Atem' steht in vielen Sprachen und Religionen für das Leben selbst. Das Virus, das die Welt ,in Atem hält', nimmt den Menschen tatsächlich diesen. Es greift die Lungen an.
Der Gedanke, dass die Pandemie im gleichen Jahr erschien, als George Floyd mit den Worten 'I can't breathe' unter Polizeigewalt starb, berührt mich jedesmal, wenn er mir kommt. Es begann mit den Buschfeuern in Australien, das unzählige Lebewesen erstickte und Menschen hustend in Seen trieb, um dem gleichen Schicksal zu entgehen. In Brasilien brannten Wälder und Grasland mit viel klareren Ursachen. Und in Californien trieben Feuer und Wind Rauch und Asche tausende von Meilen weit, sodass man am Tag stundenlang fahren konnte, ohne die Nebelscheinwerfer ausschalten zu können. Es ist nicht nur das Virus, das den Atem nimmt. Was uns Luft und Leben gibt, gerät durch menschliche Ursachen immer mehr aus dem Gleichgewicht. Die Hurrikansaison schlug 2020 alle Rekorde. Und die Kältewelle in Texas bereits im neuen Jahr tat es auch.
Im Dezember 1952 nahm eine Inversionslage, ein im Winter verbreitetes Wetterphänomen, London fünf Tage den Atem. Kalte Luft wurde bewegungslos unter einer warmen Schicht eingeschlossen. Die bereits an normalen Tagen den Himmel trübenden Abgase von Heizungen und Industrien konzentrierten sich soweit, dass man an manchen Orten tagsüber nicht mehr die eigenen Füsse sehen konnte. Busse und Taxis stellten den Betrieb wegen ungenügender Sicht ein. Menschen ertranken in der Themse, weil sie vom Weg abgekommen waren. Konzerte und Theater wurden abgesagt, weil man selbst indoor die Bühne nicht mehr sah. Kühe erstickten auf dem Feld. Die Spitäler waren überfüllt und in den kommenden Wochen und Monaten starben geschätzte 12'000 Menschen an dem, was man später den 'Great Smog' nannte. ,I can't breathe.'
Die Bibel fasst manchmal kindlich schlicht zusammen, wozu wir leben: Um Gott zu loben. Es geht da nicht um inbrünstiges Gebet und besondere religiöse Gefühle. In diesem Loben steckt ganz einfach die Freude am Dasein und an der Gemeinschaft aller Geschöpfe sowie das Staunen über die Schönheit und den Reichtum der Welt. Nur wer Odem hat, kann das tun und teilnehmen an dieser Feier. Wer lobt, muss nicht besonders fromm sein. So wie die Musik die Künstler oder Komponistinnen, lobt bereits das Atmen den Schöpfer.
Die Toten können den Herrn nicht mehr loben.
Sie sind schon in die Totenstille hinabgestiegen.
Doch wir, wir preisen den Herrn,
von heute an bis in alle Zukunft. Halleluja! Psalm 115, 17-18
Wir beklagen die Toten. Und bezeugen, solange wir da sind, mit jedem Atemzug, wie kostbar das Leben ist. Nicht nur das eigene, auch nicht nur das Menschliche. Das Leben insgesamt. Sollten wir also nicht für die Atemluft und für alle, was atmet, Sorge tragen mit allem, was uns zur Verfügung steht?
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