Eine Schlange vor der Kaffeebar.
Eine Schlange vor dem LIDL.
Eine Schlange vor der Bücherausgabe.
Eine Schlange vor der Gassenküche.
Ich erinnere mich, im Englischunterricht bereits ganz früh die Wendung 'to form as queue' gelernt zu haben. ,Eine Reihe bilden.' So stünden die Briten an, hiess es, und zeigte uns ein Bild von einem Doppeldeckerbus mit Menschenschlange.
(Man lernte damals mit allem auch gleich Anstand.)
Ich musste auch jetzt wieder nachschauen, wie man , queue' schreibt, dieses Wort, in dem die Vokale einen seltenen Konsonanten schlagen, als wären diese eine Zürcher Fussballmanschaft und jener der FCB. 4:1.
Eine vorpandemischen Umfrage ergab ,shopping' als des Schweizers und der Schweizerin liebstes Hobby.
Nun, aller Hektik und Konsumgier entledigt, finde sogar ich es manchmal ganz schön.
Man reiht sich ein, in respektvollem Abstand, und wartet ruhig, bis man vorne ist.
Aus dem Shoppen ist wieder ein Einkaufen geworden.
Wie beim Tante Emma-Laden damals im Dorf. Meine Einkaufsurerfahrung an Mutters Hand.
Man grüsst nach vorne und nach hinten, winkt der Bekannten bereits auf Position 2, und kommt mit dem stehend lesenden jungen Mann gleich hinter einem ins Gespräch.
Nichts zu beschleunigen oder zu optimieren.
Alles schön der Reihe nach.
Alles schön der Reihe nach.
Alles zu seiner Zeit.
,Mein Hauptberuf ist Anstehen,' las ich mal, vermutlich in einem Nachkriegstagebuch oder in einem Bericht aus der Sowjetunion.
In einer Mangelwirtschaft kann man ganze Tage in einer Schlange verbringen.
Anstehen für Brot und Butter, Fahrschein und Rationierungsmarken, Visum und Arbeitsbewilligung, eine Untersuchung durch den Arzt oder auch eine Präsidentenwahl.
Oft ohne Erfolgsgarantie.
In der Mangelwirtschaft stellen die Wohlhabenden Habenichtse an, für sie anzustehen.
Sie haben Wichtigeres zu tun.
Wirklich?
Wie gewichtet man das?
Irgendwie hat die queue für mich ebensoviel Tröstliches wie Trostloses an sich.
Das Geschenk von ruhiger, ausgerichteter und gleichzeitig freier Zeit.
Wie das Leben selbst.
Man kriegt nicht mehr, wenn man drängt.
Man kriegt nicht weniger, wenn man den Anschluss verpasst.
Man ist nicht wichtiger als andere.
Man ist nicht weniger wichtig als andere.
Eigensinnig egalitäre Sache in einer Gesellschaft wachsender Unterschiede.
Kurlig queres Ding in einer von Konkurrenz und Konsum bestimmten Welt.
Ein Q unter lauter Vokalen.
philipp.roth@erk-bs.ch
Kirchgemeinde Kleinbasel
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