Gestern, Sonntagmorgen früh. Es dauert noch bis zum Gottesdienst-Stream. Ich freue mich darauf, mit anderen verbunden zu feiern. Und bin etwas kribblig, ob alles klappt. (Es klappt ! https://www.youtube.com/watch?v=5G9mbArxFzM )
Ich möchte mich nicht gleich mit News abfüllen und ziehe mir noch im Bett den Kopfhörer über und wähle Musik.
Die Idee, eine Gemeindeplaylist zu erstellen, geht mir durch den Kopf. Alle, die mögen, geben ein Lied durch, ein Musikstück, einen Song. Am besten verlinkt. Die Playlist wird online gestellt. Alle können in die Playlist schauen, sehen einen Namen verbunden mit Musik. Man wählt die Musik an und denkt besonders an diesen Menschen. Kleinbasel verbunden noch auf anderer Ebene. (Wer das gut findet, kann gerne mitmachen! Mail an philipp.roth@erk-bs.ch.)
Ein musikalische Messe folgt der alten (katholischen) Liturgie. Sie durchschreitet die Höhen und Tiefen des Lebens, kommt an Freude (Gloria) und Erschöpfung (Kyrie eleison), Gottesbekenntnis (Credo) und Selbsterkenntnis (Agnus Dei) und mündet in der Ermutigung, begleitet weitergehen zu können (Benedictus). Nicht nur in der klassischen Musik wird die Form der Messe vielfältig durchgespielt. Es gibt sie auch gedjodelt, lateinamerikanisch (Misa Criolla) oder im Jazz.
Ich wähle die .Abyssinian Mass'. Wynton Marsalis, Trompeter und Leiter des Jazz im Lincoln Center NYC, hat sie zum 200. Geburtstag der Abyssinian Baptist Church in Harlem komponiert. Auch ein Konzert wird da zum Gottesdienst. Das Unservater kommt bald nach dem Eingang. Ein inniges Chorstück, erst am Schluss (,Denn dein ist das Reich...') von der Band in einen Jubel emporgehoben. Als die Stimmen sich stereo durch meine Ohren unter die Haut und Seelenhaut schleichen, beginnt es in mir mit einem Mal zu schluchzen und zu würgen. Ich sage 'in mir', weil es zunächst ganz autonom geschieht und ich mir verwundert zuschaue. Da, in mir, ist noch ein anderer Teil. Er macht noch ganz anderes durch als das, was mir im Gedankenlicht der Stirn, hinter den Augenfenstern, bewusst ist. Mit einem Mal wechselt das Ich in mir den Platz. Geht vom Ober- ins Untergeschoss, von der Steuerkonsole zum Gärkeller, vom Tun- zum Ergehensplatz, von der Aktions- auf die Passionsseite. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich weine, zuerst in mich hinein und dann in die Arme meiner Frau.
Wie geht es mir? Ich glaube, es geht mir gut. Und das stimm auch. Aber mein Seelenhaus hat viel mehr Zimmer als das, in dem ich mich gerade befinde. Es ist wichtig, die alle mal zu betreten. Gerade jetzt. Es ist wichtig, das Lachen nicht zu verlieren, aber auch das Weinen (wieder) zu gewinnen. Es ist wichtig, die Knospen im Lindenbaum zu sehen, bereit zur grünen Explosion, und der Kranken zu gedenken, die mit dem Leben ringen, und der Toten, die tägich mehr werden und näher kommen.
,Heb Dr Sorg', schreibe ich nun oft am Schluss meiner Mails. Das bedeutet auch, weinen können - um dann wieder lachen zu können. Denn beide sind nicht Widersprüche, sondern Geschwister. Heute schon geweint?
,Gib mir die Gabe der Träne' heisst ein Gedicht von Dorothee Sölle. Nicht nur ein Gedicht; ein Gebet. Ich schlage es auf und bete es:
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
Führ mich aus dem lügenhaus
wasch meine erziehung ab
befreie mich von meiner mutter tochter
nimm meinen schutzwall ein
schleif meine intelligente burg
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
Reinige mich vom verschweigen
gib mir die wörter den neben mir zu erreichen
erinnere mich an die tränen der kleinen studentin
in göttingen
wie kann ich reden wenn ich vergessen habe
wie man weint
mach mich naß
versteck mich nicht mehr
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
Zerschlage den hochmut mach mich einfach
laß mich wasser sein das man trinken kann
wie kann ich reden wenn meine tränen nur für
mich sind
nimm mir das private eigentum und den wunsch
danach
gib und ich lerne leben
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
gib mir das wasser des lebens
Herzlich verbunden
Philipp Roth
Abyssinian Mass, Lord's Prayer: https://www.youtube.com/watch?v=HmlI-Fceshc
Alle aktuellen Infos und Angebote der Kirchgemeinde www.erk-bs.ch/kg/kleinbasel/corona_information
Lieber Philipp, danke für deine offenen Gedanken...uns stehen manchmal die Tränen vor dem Lachen....und doch darf es beides geben.
AntwortenLöschenMusikplaylist: An welches Format hast du gedacht ? Ein Link zu youtube oder zu spotify (haben nicht alle.) oder direkt eine mp3-Datei). Wir sind interessiert ! Liebe Grüsse, Ruth und Charly
Lieber Philipp, danke für Deine Worte, für das Fenster auf die seelische Landschaft das Du mit diesem Blog aufmachst. Diese Verbindung brauche ich sehr.
AntwortenLöschenBei der Playlist mache ich mit.
Vinicio Capossela "Con una rosa". Es ist einfach ein Lied, das für ein Moment lässt mich träumen :-)
Danke Euch! Ich habe an einen Link zu YouTube, vimeo oder so gedacht - für alle zugänglich. Recherchiere aber auch selbst.
AntwortenLöschenwas ich mich frage ... was machen in dieser Zeit der Isolation diejenigen, die sich in keine Umarmung flüchten können?
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